Nachlassgespräche
«Eines meiner Kinder soll die Sammlung übernehmen» – Nachlassgespräch mit Christoph Blocher
Christoph Blocher (81) ist Eigentümer einer Kunstsammlung mit rund 600 Kunstwerken von Schweizer Malern: Zum Beispiel von Albert Anker und Ferdinand Hodler, aber ebenso von Giovanni Giacometti, Giovanni Segantini oder Félix Vallotton. Nicht zuletzt finden sich auch zahlreiche Werke von Adolf Dietrich in seiner Sammlung. Für seine Kunstwerke hat Christoph Blocher auf seinem Anwesen in Herrliberg ein «Schaulager» gebaut. Für das Zentrum für künstlerische Nachlässe (ZKN) hat sich Christoph Blocher den Fragen des Präsidenten des ZKN, Florian Schmidt-Gabain, und der Juristin und Journalistin Nadja Fischer über die Zukunft seiner Kunstsammlung gestellt.
Fotos: Zsigmond Toth.
«Für den Staat ist es ein riesiges finanzielles Problem, wenn man ihm eine Kunstsammlung schenkt.»
ZKN: Christoph Blocher, wann kam Ihnen zum ersten Mal der Gedanke, dass Sie die Zukunft Ihrer Kunstsammlung regeln sollten?
Christoph Blocher: Das kam spät. Bis vor fünf Jahren war mir nicht einmal bewusst, dass ich eine Sammlung habe. Ich kaufte seit den 1970er-Jahren Bilder, die mir gefielen. Als wir vor 20 Jahren unser Haus in Herrliberg erwarben und umbauten, war uns klar: Hier wollen wir inmitten unserer Bilder wohnen. Vor sechs Jahren kam Marc Fehlmann vom Museum Oskar Reinhart in Winterthur zu mir mit der Idee, eine Ausstellung mit Meisterwerken aus meiner Sammlung zu organisieren. Ich habe doch gar keine Sammlung, meinte ich. Fehlmann insistierte: Sie haben die bedeutendste Sammlung von Schweizer Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts! Auf meine Frage, was denn eine Sammlung überhaupt sei, gab er eine kunsthistorische Antwort, die mir nicht einleuchtete. Es gebe auch eine volkstümliche Beschreibung, ergänzte Fehlmann: Man besitze dann eine Sammlung, wenn man mehr Bilder als Wände habe. Gut, meinte ich, dann habe ich tatsächlich eine Sammlung! (lacht) Ich lieh ihm 80 Gemälde für die Ausstellung und verlangte, dass ein allfälliger Überschuss der finanziell angeschlagenen Stiftung Oskar Reinhart zu Gute komme. Fehlmann lachte. Eine Ausstellung mit Überschuss? Das habe es wohl noch nie gegeben. Die Ausstellung meiner Werke dauerte schliesslich vier Monate und machte einen Reingewinn von 250’000 Franken, die der Stiftung Oskar Reinhart zu Gute kamen.
Es war die erfolgreichste Ausstellung im damaligen Oskar Reinhart Museum.
Das weiss ich nicht, aber 65’000 Besucher in vier Monaten – das lässt sich sehen! Offenbar ein Publikumsbedürfnis. Ich war damals selbst viel in Winterthur vor Ort und führte Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung.
Wurde Ihnen also damals bewusst, dass Sie regeln sollten, was dereinst mit Ihrer Kunstsammlung geschieht?
Sagen wir so: Es wurde mir bewusst, welche Nachlasslösung für mich nicht in Frage kommt. Wenn ich nicht gerade Besucher durch meine Bilder führte, besuchte ich in Winterthur nämlich häufig die Säle nebenan mit der phänomenalen Sammlung von Oskar Reinhart, welcher diese grosszügig der Stadt geschenkt hatte – mit einer Stiftung mit Museum. Ich war in diesen Ausstellungsräumen meist allein. Während die Menschen Schlange standen, um meine Sonderausstellung zu sehen, interessierten sich – liess ich mir sagen – gerade mal 15 Besucher pro Tag für die Dauerausstellungen – 15 Besucher in beiden Museen! Und es seien über 20 Angestellte! Das bedeutet jedes Jahr Millionenverluste.
Damals also haben Sie sich gesagt: Das mache ich nicht.
Von Natur aus bin ich kritisch gegenüber staatlichen Lösungen. Ich bin für Selbstverantwortung und bin überzeugt: Wenn ich meine Sammlung dem Staat schenken würde mit der Auflage, meine Bilder müssten konstant ausgestellt sein, dann hätte auch meine Sammlung in ein paar Jahren nur noch 15 Besucher pro Tag. Die Leute interessieren sich nicht so sehr für Dauerausstellungen. Darum ist es für den Staat ein riesiges finanzielles Problem, wenn man ihm eine Kunstsammlung schenkt.
«Natürlich ist eine Stiftung steuerrechtlich interessant, aber führungsmässig verfehlt.»
Es kommt darum auch vor, dass der Staat solche Geschenke dankend ablehnt.
Wohl selten. Die Schenkenden lassen sich als Mäzene feiern, dabei wird ihr Geschenk häufig zur Belastung. Oder denken Sie an die Bührle-Sammlung: Der Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich kostet den Steuerzahler Millionen, damit er die Sammlung nicht einmal als Schenkung, sondern nur als Dauerleihgabe ausstellen darf und muss.
Welche Alternativen zu einer Schenkung haben Sie erwogen? Käme für Sie der Verkauf Ihrer Sammlung in Frage?
Diese Lösung sollte man als Sammler immer im Hinterkopf behalten. Ich selbst war froh um jeden Sammler, der Kunstwerke verkauft hat. Wunderbare Werke habe ich zum Beispiel aus der Sammlung des Baslers Arthur Stoll, der Präsident der Sandoz war. Es war für mich ein Glück, wurde diese Sammlung aufgelöst. Die Erben haben eine interessante Lösung getroffen. Sie verkauften schliesslich alle Gemälde über eine Auktion. Wenn ein Erbe ein Bild unbedingt wollte, konnte er es dort erwerben. So gab es keinen Streit über den Wert der einzelnen Bilder. Ich finde, ein Sammler sollte mit seiner Sammlung nicht verheiratet sein… bis dass der Tod Euch scheidet. Man sollte sich nie so sklavisch an seine Sammelgegenstände binden… wobei die alten Ägypter es natürlich gut gemacht haben: Sie nahmen alles mit ins Grab! (lacht)
Sie haben noch immer nicht verraten, für welche Lösung Sie sich nun entschieden haben. Sind Sie noch Eigentümer der Kunstsammlung?
Ja, die Sammlung gehört immer noch mir und meiner Frau, im Gegensatz zu den Unternehmen, die wir den Kindern bereits vererbt haben. Als ich im Dezember 2003 in den Bundesrat gewählt wurde, schlug ich meinen Kindern vor, die Unternehmen zu übernehmen. Zuerst käuflich gegen Kredit, später definitiv mit Erbvertrag. Natürlich war das alles mit meiner Frau vorbesprochen. Sie war einverstanden, zu Gunsten der Kinder auf diesen Teil des Erbes zu verzichten. Wir sassen alle an einen Tisch, und die Kinder mussten unterschreiben, dass die Erbteilung mit der Übernahme der Unternehmen abgeschlossen ist und sie keinen Anspruch mehr auf einen Pflichtteil des uns verbleibenden Erbteils haben. Vom ursprünglichen Vermögen blieben meiner Frau und mir die Sammlung und unsere Grundstücke und die neu gegründete Firma Robinvest. Diese damals rund 400 Millionen Franken standen zu unserer Verfügung. Es wird nie einen Streit wegen Verteilung von Pflichtteilen geben. Wir klammerten einen Erbschaftsstreit quasi präventiv aus. Das ist bei Sammlungen nicht unerheblich.
Sie haben sich – zumindest im Moment – gegen einen Verkauf ausgesprochen, und Sie wollen die Sammlung nicht dem Staat schenken. Gründen Sie eine Stiftung?
Ich habe Erfahrungen mit Stiftungen, die ich gegründet habe. So zum Beispiel – wie Sie vielleicht wissen – die Stiftung Schweizer Musikinsel Rheinau, sie ermöglicht Musikschaffenden, vor allem Laienmusikern, im wunderschönen Kloster Rheinau zu proben. Ich wollte eigentlich eine AG gründen, doch das ging nicht, weil der Staat als Vermieter der Räume auf der Stiftungsform beharrte. Für mich zeigt sich da immer wieder: Die Stiftung ist kein Führungsinstrument. Sie haben regelmässig mit einer Stiftungsaufsicht zu tun, die keine Ahnung vom Geschäft hat, dann aber detailliert wissen will, warum z. B. ein bestimmter Männerchor zu einem billigeren Tarif im Kloster proben durfte. Wer eine Stiftung gründet, gibt die Eigentumsrechte ab. Auch wenn man selbst im Stiftungsrat ist. Natürlich ist eine Stiftung steuerrechtlich interessant, aber führungsmässig verfehlt. Ich verfolge das Schicksal von Kunststiftungen. Ich denke an die Gottfried-Keller-Stiftung oder die Stiftung Oskar Reinhart. Für die Kunstsammlung ist das für mich keine Option.
Möglich wäre aber auch, eine Stiftung mit einer AG zu einer Unternehmensstiftung zu verbinden…
Das schwebte mir auch für Rheinau vor, aber das hätte anderthalb Jahre gedauert, bis das allenfalls bewilligt worden wäre. Nein, ich habe mich für einen anderen Weg entschieden: Geplant ist, dass eines meiner Kinder die restliche Erbschaft zum Wert Null übernehmen – mit der Verpflichtung, die Sammlung weiterzuführen und die Bilder regelmässig Museen auszuleihen. Das ist mir wichtig: Die Öffentlichkeit soll meine Bilder sehen können. Ich habe nicht nur in Winterthur erlebt, wie viele sich dafür interessierten, sondern auch kürzlich im Wallis, wo sie vor nicht langem in der Fondation Pierre Gianadda ausgestellt waren. Und vor ein paar Jahren waren die Bilder an einer grossen Anker-Ausstellung in Japan. Ja, sogar die Japaner fahren unglaublich auf Anker ab! Die Japaner, die keine Emotionen zu haben scheinen, die immer so höflich und beherrscht wirken – in einer Kunstausstellung lassen sie ihren Emotionen freien Lauf, das ist unglaublich!
Ist denn schon klar, welches Ihrer vier Kinder die Kunstsammlung übernehmen wird?
Ja, die jüngste Tochter wäre bereit, aber es muss noch alles rechtlich geregelt werden. Sie soll also die Kunstsammlung erhalten, dazu unser Wohnhaus, wo 180 Bilder hängen, und auch das neue Lager, das wir hier auf unserem Grundstück für die Sammlung bauen. Die anderen Kinder sind alle mit dieser Lösung einverstanden. Sie sagen mir: Du musst uns ja gar nicht fragen, wir haben alle unseren Teil ja schon erhalten, Du bist völlig frei, zu entscheiden. Und natürlich sind die anderen drei Kinder ohnehin mit ihren Unternehmen und Familien völlig ausgelastet.
«Die Japaner, die keine Emotionen zu haben scheinen, die immer so höflich und beherrscht wirken – in einer Kunstausstellung lassen sie ihren Emotionen freien Lauf, das ist unglaublich!»
Wie sind Sie genau vorgegangen beim Einbezug der Familie in Ihre Nachlassplanung? Wie muss man sich das praktisch vorstellen?
Wir sind eine sehr offene Familie. Ich bin überzeugt, dass in Vermögenssachen innerhalb der Familie alles auf den Tisch muss. Die Verheimlichungen und das Verstecken geben Misstrauen und sind der Herd von grossem Streit. Meine Kinder wissen, was ich habe, wo ich Gewinne, wo ich Verluste gemacht habe, was ich gekauft habe. Auch über die Kunstsammlung waren sie immer informiert. Es gab nie Konflikte. Schon als es um meine Unternehmen ging, habe ich die Familie an einen Tisch gerufen zu einer formellen Besprechung. Ich schlug ihnen den Erbschaftsvorbezug vor und gab 14 Tage Bedenkzeit. Und natürlich war das Ganze vorbesprochen mit meiner Frau. Der Ehegatte gibt ja bei einem solchen Vorgehen einen Teil seines Erbes aus den Händen. Wenn es nach einem Erbvorbezug zur Scheidung kommt, wird es problematisch. Nicht, dass das bei uns im Raum stünde. Aber das muss einem bewusst sein. Es gibt nichts ohne ein gewisses Risiko.
Hat Ihre Frau auf ihren Pflichtteil verzichtet in Bezug auf die Kunstsammlung?
Wenn ich vor ihr sterbe, erhält meine Frau alles Vermögen, das wir noch haben. Auch die Kunstsammlung.
Das heisst: Wenn Ihre Frau Sie überlebt, entscheidet sie letztlich, was mit der Sammlung passiert.
Ja, das ist so. Aber ich vertraue ihr. Es ist auch ihr Wunsch, dass unsere jüngste Tochter die Geschicke der Kunstsammlung führen wird. Aber fertig ausgestaltet ist die Lösung noch nicht.
Wenn Ihre Tochter eines Tages ihren eigenen Nachlass plant, könnte sie theoretisch die Sammlung auflösen. Das könnten Sie mit einer Stiftungslösung verhindern – Sie könnten eine Stiftung ja mit Familienmitgliedern besetzen…
Nichts ist unvergänglich. Sollte man später zur Einsicht kommen, jetzt ist es gescheiter, wir lösen die Sammlung auf, oder wenn die Nachfolger irgendwann beschliessen, eine Stiftung zu gründen, dann liegt das in ihrer Verantwortung, und nicht mehr in meiner. Dieses Risiko bleibt immer. Das Risiko einer Kunststiftung habe ich aufgezeigt. Es genügt mir zu wissen, dass die Sammlung nach unserem Ableben in gute Hände kommt. Vielleicht hält das immerhin 30 bis 40 Jahre.
Hat Ihre jüngste Tochter Ihr Sammelflair, Ihre Leidenschaft für die Kunst geerbt?
Nein, eigentlich nicht. Sie mag Bilder, sie wählt sie gerne aus. Am meisten interessiert sich mein Sohn für Kunst. Der ist aber schon mit der Führung seines Unternehmens ausgelastet und hat sieben Kinder. Er meinte darum, er könne bei sich zuhause keine Bilder aufhängen – das gäbe ein «Schlachtfeld» (lacht).
Ihre Tocher Rahel ist Geschäftsführerin der Robinvest AG, die hier auf Ihrem privaten Anwesen den Sitz hat – in unmittelbarer Nähe zum neuen Lager, das Sie für die Sammlung bauen.
Als ich vom Bundesrat zurückkam, habe ich die Firma Robinvest neu gegründet. Der Name ist übrigens eine Eigenkreation: Das «Ro» steht für das Berner Oberländer Rosenhorn, das wir von hier aus sehen und das in meiner Heimatgemeinde steht, «B» steht für Blocher und «Invest» für Investieren (lacht). Auch diese Firma soll mit der Kunst übergehen. Das ist essenziell: Denn die Erträge dieser Gesellschaft wird sie für Betrieb und Unterhalt der Sammlung benötigen.
«Geplant ist, dass eines meiner Kinder die restliche Erbschaft zum Wert Null übernehmen – mit der Verpflichtung, die Sammlung weiterzuführen und die Bilder regelmässig Museen auszuleihen.»
Waren auch steuerliche Überlegungen wichtig bei Ihrem Entscheid für die Nachlasslösung?
Natürlich, aber es gäbe steuerlich viel interessantere Lösungen als jene, die ich jetzt vorsehe. Ich bin auch einer der wenigen mit einer Sammlung, die ich hoch versteure. Es gibt Sammler, die mir Bilder streng geheim verkaufen, damit man nicht weiss, wer das Bild vor mir besass, weil es nicht versteuert war. Das will ich nicht. Ich habe steuerlich Ordnung, aber es ist punkto Vermögenssteuer nicht die günstigste Lösung.
Sie haben gesagt, sie hätten zum ersten Mal 2014 bewusst Ihre Sammlung als solche wahrgenommen. Wie lange dauerte es, bis Sie sich zu Ihrer Nachlasslösung durchgerungen haben?
Das dauert eigentlich bis heute an. Wir haben die Lösung noch nicht besiegelt. Wir wissen noch nicht, ob wir schon zu Lebzeiten etwas unternehmen sollen – ob ich z.B. der Tochter zu Lebzeiten das Eigentum an der Kunstsammlung übertragen soll. Das wäre interessant, weil sie im Kanton Schwyz wohnt und dort weniger Vermögenssteuer bezahlen müsste. Aber auch sonst harren der Probleme für die Zukunft viele. Steuerliche Probleme sind nur das eine.
Zurück nochmals zur Möglichkeit einer Schenkung. Eine solche müsste ja nicht die ganze Sammlung umfassen. Haben Sie je in Erwägung gezogen, dem Kunsthaus Zürich für die Erweiterung einen schönen Hodler oder ein Anker-Bild zu schenken und so als Privatsammler etwas der Öffentlichkeit zurückzugeben? So wie z.B. Walter Haefner, der dem Kunsthaus wunderbare Monet-Gemälde geschenkt hat?
Was die Schenkung von Kunst an den Staat bedeutet, habe ich Ihnen aufgezeigt. Ich habe es ausgeschlagen. Ich will eine Lösung, wo die Öffentlichkeit die Bilder sehen kann an Ausstellungen, ohne dass der Staat Millionenbeiträge für Defizite von Dauerausstellungen bezahlen muss.
Das Kunsthaus ist nicht staatlich. Es wird von einem privaten Verein getragen, der Zürcher Kunstgesellschaft.
Und wer zahlt den neuen Erweiterungsbau? Wir Bürger haben doch darüber abgestimmt. Stadt und Kanton Zürich bezahlen die Hälfte der Erweiterungskosten. Wir bezahlen dafür, dass Emil Bührles Helgen dort ausgestellt werden! Natürlich habe ich auch schon Schenkungen gemacht, aber an ein privates Museum. Aber dem Staat, dem Kanton Zürich etwas schenken, das dann Schulden provoziert? Nein, da habe ich kein gutes Gefühl. Etwas anderes sind Leihgaben. Da bin ich sehr grosszügig. Ich habe auch nichts gegen das Kunsthaus Zürich. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich ihnen nichts schenke.
Sie haben neben Ihrem Wohnhaus ein unterirdisches Kunstlager, ein «Schaulager», wie Sie es schon genannt haben, gebaut. Ist das Schaulager in Münchenstein Vorbild, das die Mäzenin Maja Oeri für die Kunstsammlung der Emanuel Hoffmann-Stiftung gebaut hat?
Mit dem Namen «Schaulager» ist das so eine Sache. Die Basler sagten: Das ist ein geschützter Name… Darum nenne ich mein Lager nun «Sichtlager» (lacht). Ich habe meinen Neubau auch bei der Baueingabe als Lager bezeichnet, was es auch ist. Damit muss nicht das ganze Dorf Angst haben, es gebe ein öffentlich zugängliches Museum mit viel Verkehr und Parkplätzen. Es ist auch so: Es ist ein Sichtlager mit Platz für 200-300 Ölgemälde und mit Kabinetten für die Aquarelle von Anker. Es dient als Lager, und ich kenne kein schöneres Museum auf der Welt.
Schaulager bedeutet ja: Die Gemälde sind dort gelagert, jedoch nicht in Kisten verpackt, sondern so, dass sie sichtbar sind.
Genau. Wenn man mich z. B. wie kürzlich vom Pariser Musée d’Orsay anruft, dann werde ich sagen können: Kommt vorbei, ich führe Euch durch die neuen Räume, dann findet Ihr, was Ihr sehen wollt. Oder ich kann meine Bilder Freunden zeigen. Aber es wird eben kein Museum mit fixen Öffnungszeiten und Eintrittstickets. Der Vorteil: Dieses neue Sichtlager verwaltet eine einzige Person, meine Sekretärin, die auch für das Sekretariat der Robinvest zuständig ist. Wir sind ein ganz kleiner Club hier, so dass der Betrieb des Lagers gar nicht so teuer ist. Vieles mache ich auch selbst. Wir haben zwar keine Einnahmen aus Eintrittstickets, aber auch viel weniger Kosten.
Sind wöchentliche Führungen geplant?
Das weiss ich noch nicht. Das wäre dann schon eine Ausweitung. Ich könnte sagen: Jede Woche können sich 20 Personen anmelden. Aber das ist noch offen.
«Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich dem Kunsthaus Zürich nichts schenke.»
Das Schaulager in Münchenstein dient explizit Forschungszwecken. Wenden Sie sich mit Ihrem Lager auch an die Kunstwissenschaft?
Grundsätzlich bin ich zurückhaltend gegenüber Kunsthistorikern und ihrem Einfluss auf meine Sammlung. Ich höre sie an, aber ich will bestimmen. Mein Sinn für Ästhetik soll massgebend sein. Ich hatte kürzlich Kontakt mit Matthias Frehner, dem früheren Direktor des Kunstmuseums Bern. Er hat die Ausstellung in der Fondation Pierre Gianadda kuratiert. Ich fragte ihn, wie er meine Bilder in den neuen Lagerräumen hängen würde. Diese Überlegungen waren interessant. Aber Kunsthistoriker haben weniger emotionale Beziehung zur Kunst. Das Intellektuelle, die Wissenschaft steht im Vordergrund. Er gruppierte die Bilder automatisch nach kunsthistorischen Überlegungen. Dabei zählt für mich nur Eines: Die Ästhetik. Nicht, dass ich verachten würde, wie Kuratoren vorgehen. Aber ich habe Frehner gesagt: In der Mitte dieser Wand hänge ich einen «Mäher» von Hodler – das war für Hodler ja ein ganz wichtiges Motiv – und rechts und links hänge ich je einen Vallotton. Matthias Frehner hingegen hätte die Bilder von Vallotton in einem anderen Raum ausgestellt, weil sie jünger sind. Begreiflich, aber für mich zählt die Schönheit. Wertvoll war für mich, von Frehner zu erfahren, dass Hodler und Vallotton sich sehr mochten, dass sie eine grosse Achtung füreinander hatten. Das ist es doch! Das sieht man, wenn man diese drei Bilder nebeneinander sieht!
Erhalten grundsätzlich alle Interessierten Zutritt zu Ihrem privaten Schaulager? Oder muss man ein besonderes Interesse nachweisen?
Wenn sie mindestens vier Stunden Zeit haben, können sich auch Leute anmelden, die ich nicht kenne. Ich will Leute ausschliessen, die nur durch die Ausstellung rennen wollen. Wer wirklich interessiert ist und jedes Detail betrachten will, braucht vier Stunden Zeit. Bei den Bildern ist das Detail wichtig, die Intensität, mit der man sich mit dem Gegentand beschäftigt. Je mehr Zeit man sich nimmt, desto interessanter wird es. Es ist übrigens typisch, dass Industrielle Kunstsammlungen haben. Um Kunst zu sammeln, brauchen Sie Geld, das hat der Industrielle normalerweise. Aber er hat wenig Zeit. Das ist nicht schlimm für die Kunst. Bilder können Sie auch drei Monate am Boden stehen lassen, bis Sie sie aufhängen. Das spielt keine Rolle. Mit einer Kunstsammlung sind Sie zeitlich nicht gebunden. Man kann sich Zeit nehmen, wenn man sie hat.
Sie bauen nun hier auf Ihrem Anwesen ein privates Lager, das nur beschränkt öffentlich zugänglich ist. Haben Sie nie in Betracht gezogen, an einem anderen Ort quasi ein «Privatmuseum Blocher» zu errichten, dass Ihre Bilder einem breiteren Publikum zugänglich macht?
Doch, doch, aber die Probleme wären dieselben, wie bei staatlichen Dauerausstellungen. Ich lebe gerne umgeben von meinen Bildern. Ich kann sie doch nicht anderswo aufhängen. Die bedeutendsten Bilder – Ankers «Schulspaziergang» zum Beispiel – sehe ich seit 20 Jahren jeden Tag beim Abendessen! Vor kurzem kam das Gemälde aus dem Wallis zurück, wo es mehrere Monate ausgestellt war. Das ist für mich immer ein Fest. Es ist, als ob ein Kind zurückkäme.
Aber irgendwann werden Sie nicht mehr dort Abendessen…
Dann hoff ich, dass es jemand anders sein wird. Wenn das nicht der Fall ist, nimmt es seinen Lauf.
Es wäre ja auch denkbar gewesen, das Ganze zeitlich zu staffeln. Ganz wichtige Bilder hätten Sie auch erst später in ein Privatmuseum geben können…
Wissen Sie: So ein Privatmuseum hätte dann wieder geendet wie Oskar Reinharts Sammlung. Eine Kunstsammlung ist ein Wertgegenstand, der keinen Ertrag abwirft. Das ist das Problem. Irgendwann fehlen die Eigenmittel. Darum habe ich mich für die Konstruktion mit der Robinvest AG entschieden. Die Firma soll die Kunstsammlung ermöglichen und ihren Betrieb sichern. Das steht im Mittelpunkt.
Wann ist Ihr Kunstlager fertig gebaut?
Jetzt – im November – ist es praktisch so weit: Das Sichtlager ist baumässig eine ganz raffinierte Lösung. Es ist unterirdisch angelegt. Über dem Lager, auf dem Flachdach des Museums, entstand ein wunderbarer Garten mit Blick auf die Berner Alpen. Eine vorbildliche Flachdachkonstruktion. (lacht) In Herrliberg zählen unterirdische Bauten nicht zur Ausnützung. Wenn ich will, kann ich dort später immer noch Häuser bauen.
Christoph Blocher, vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Nachlassgespräch wurde unterstütz durch:
Koller Auktionen.
23. November 2021